Wir benötigen mehr Bäume – Und zwar schnell
Geschrieben:

Im Oktober/November starten wir auf fünf Flächen in Melle/Oldendorf (3 Areale), Melle/Mitte und Melle/Wellingholzhausen
die Anpflanzung von insgesamt 90 heimischen Obstbäumen (vier Streuobstwiesen, viele alte Sorten) sowie von 4 Klimaschutz-Wäldern (bestehend aus etwa 3/4 heimischen Arten und etwa 1/4
südeuropäischen Arten). Bepflanzt werden insgesamt etwa 12.000 m².
Vielen Dank an die Firma Thomas Philipps, welche etwa 40 Bäume spendet. 50 Obstbäume stammen aus dem 850-Bäume-Programm der Stadt Melle.
Geplant ist insgesamt die Anpflanzung von etwa 400 Bäumen, um somit ca. 4 Tonnen CO2 im Jahr speichern zu können.

Vor einigen Tagen haben wir ein Gespräch mit einer fachkundigen Person (Dagmar Lücke) zum Thema Bäume und Baumanpflanzungen geführt.
Das Interview soll hier an dieser Stelle veröffentlicht werden:

* Vielen Dank, dass Sie an dieser Stelle eine kostenlose Beratung anbieten.
Können Sie einmal kurz schildern, welche Erfahrungen Sie bislang in der Baum-Thematik gesammelt haben?

Dagmar Lücke: Seit etwa 20 Jahren arbeite ich als Baumschulgärtnerin und betreibe zudem eine eigene Bonsai-Baumschule bei der
Gärtnerei Jurgelucks. In den letzten 20 Jahren habe ich viel ausprobiert und geforscht
Was aktuell passiert betrifft mich im Herzen. Bäume sind ökologisch gesehen das wertvollste Lebewesen, welches wir haben und
das Gerüst der Ökosphäre. Viele Baumtriebe jedoch sterben aktuell aufgrund des geringen Niederschlages und der Sonnenintensität.
Im Augenblick ist festzustellen, dass viele Böden anfangen zu versteppen, wir müssen dringend mehr Bäume pflanzen.

* Wie schätzen Sie die Entwicklung heimischer Baumarten in den nächsten 30 Jahren ein?

Es ist davon auszugehen, dass die Dürreperioden insbesondere während der Vegetationsperioden zunehmen werden.
Wir können nur hoffen, dass wir 2018 und 2019 Ausnahmeperioden erlebt haben. Viele Bäume werden sich ohne Hilfe kaum erholen können.
Für die Buche und die Eiche wird es wohl mittelfristig, abgesehen von sehr günstigen Lagen, eng.
Zudem werden sich unsere heimischen Bäume natürlich nicht innerhalb einer kurzen Zeitspanne von einigen Jahrzehnten genetisch an die veränderten Rahmenbedingungen
anpassen können.

* Welche Bäume sind besonders stark von der Dürre betroffen?

Die heimische Fichte aber auch die Hainbuche. Natürlich auch die Birke, viele Ahornpflanzen. Auch die Eiche ist massiv betroffen, in Stadtgebieten ist es
insbesondere die Sommerlinde, welche massive Probleme hat. In einem gewissen Rahmen können sich Bäume verteidigen. Die Sommerlinde beispielsweise dreht ihre hellen Blätter als Reflektionsschutz mittlerweile nach oben.
Auch die Haselnuss beginnt aufgrund ihrer großen Blätter Probleme zu bekommen.
Problematisch sind Bäume mit ausladenden Kronen oder grossen Blättern. Diese können sich kaum vor der intensiven Sonneneinstrahlung schützen.

Bei südeuropäischen Bäumen ist es so, dass diese langsamer und gedrungener wachsen. Dadurch bilden sie einen „internen Schutz“ für sich selbst.
Durch ein kompaktes Wachstum entsteht ein kühleres Mikroklima innerhalb ihres eigenen Organismus.
In diesem Sinne ist es wichtig, heimische Bäume zurückzuschneiden und ihnen eine gedrungenere Form zu geben. Das kann vielleicht das Schlimmste noch verhindern.
Werden Bäume geschnitten, dann bildet sich ein sog. „Wurzelvorsprung“. Die Masse der Wurzeln wird größer im Vergleich zur zu versorgenden Baummasse. Auch das kann ein Schutz sein.

Interessant ist: Wenn Bäume zu einer Heckenform geschnitten werden, wie z.B. die Hainbuche, dann entsteht dort ein Schutzklima.
Diese Bäume sind kaum von der Dürre betroffen oder lange nicht so stark. Auch geschlossene Bestände sind etwas geschützter als offene Bestände.
Grundsätzlich sind natürlich immer auch der Wuchsstandort, die Lage wichtig. In einer sonnenexponierten Lage auf einem Hügel ist es natürlich für viele Arten
gefährlicher als in einer schützenden Senke.

* Wie schätzen Sie das aktuelle Waldsterben ein. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe?

Auf jeden Fall spielt die Klimaerwärmung und die Trockenheit eine große Rolle. Bäume schützen sich zwar auch über eine gewisse Zeit gegenseitig.
Bilden sich jedoch Mangelzustände dann geraten sie in Konkurrenz zueinander und saugen sich gegenseitig das Wasser ab.

* Welche Bäume eignen sich in den nächsten Jahren besonders gut, um dem Klimawandel zu trotzen?

Viele Eschen scheinen mit der Trockenheit ganz gut klar zu kommen. Auch Robinien, Walnuss, die Roteiche, Kastanien oder Schlehen haben gute Karten.
Erstaunlicherweise ist aktuell zu verzeichnen, dass auch Weiden der Dürre recht gut trotzen, das ist eine Überraschung. Auch Pioniergehölze wie Pappeln machen sich noch ganz gut.

* Was kann man aktuell tun, um heimische Bäume zu schützen?

Nenebn dem Zurückschneiden in der Krone viel gießen.
Seit Mitte Juli habe ich einige Bäume vier- bis fünfmal jeweils mit etwa 100 Litern versorgt.
Diese Bäume zeigen kaum Auflösungserscheinungen.

* Nicht-heimische Arten anzupflanzen wird oft kritisiert, da die heimische Flora davon nicht profitiert. Wie stehen Sie zu diesem Punkt?

Zum Teil ist dieser Punkt durch Studien schon widerlegt. In bestimmten nicht.heimischen Arten befinden sich sogar mehr Insektenarten als in heimischen Bäumen.
Die Lebensbedingungen ändern sich aktuell. Wir brauchen schlichtweg auch mehr Masse in der Baum-Flora und mehr geschlossene Kronen, davon profitieren auch viele heimische Arten.

* Welche südeuropäischen/fremdländischen Bäume können sich Ihrer Meinung nach für eine Ansiedlung eignen?

Früher wurden z.B. der französische Ahorn oder die Hopfenbuche empfohlen. An vielen Standorten ist das aufgrund der aktuellen Entwicklung jedoch sogar schon passé.
Die Blumenesche (Manna-Esche) könnte günstig sein. Auch Platanen am richtigen Standort können funktionieren. Ich will mich da aber auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
Fakt ist sicherlich, dass auch die Kaukasus-Fichte in unseren Wäldern resistenter als die heimische Fichte ist.
Die Schwarnuss könnte funktionieren. Weiterhin empfehle ich die Zerreiche (Quercus cerris) und Libanoneiche (Quercus libani).
Robinie sollten auf jeden Fall gehen. Orientfichte, Zedern und einige Arten der Platane sind ebenfalls sehr trockenheitsresistent.
Letztlich geht es aber auch um Agglomerationen von Bäumen, das richtige Zusammenspiel, an den richtigen Standorten.

* Gibt es Ihrer Meinung nach besonders invasive Baumarten, welche ggf. sogar eine „Gefahr“ für die heimische Fauna darstellen können?

Der Götterbaum gilt als sehr invasiv. das ist nicht ungefährlich. Trotzdem kann es an sehr armen Standorten immer noch besser als Nichts sein.
Jeder Baum fungiert auch als Wasserspeicher, auch das gilt es zu berücksichtigen.

* Es gibt Stimmen die sagen, dass ein gemischter, naturbelassener Wald heimischer Arten durchaus dem Klimawandel trotzen kann. Wie sehen Sie das?

Wenn genügend Feuchtigkeit vorhanden ist kann das funktionieren. Aber was passiert, wenn es in den nächsten Jahren so wenig regnet wie zuletzt?
Da hilft dann auch eine Naturbelassenheit nicht mehr.
Genetische Veränderungen geschehen über einen langen, langen Zeitraum. Es ist unmöglich, dass sich eine Varibilität, ein Toleranzraum, innerhalb beispielsweise der nächsten 20 Jahre anpasst.

Frau Lücke, vielen Dank für das Gespräch.

Ein Artikel über Frau Lücke in der NOZ:
https://www.noz.de/lokales/melle/artikel/1865187/tipps-fuer-die-rettung-gestresster-stadtbaeume-in-melle

Interessant zudem ein Zitat, welches kürzlich auf den Baumpflegetagen in Osnabrück wie folgt geäußert wurde:

Die von Klaus Körber (Sachgebietsleiter an der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau) erwähnte Sommerlinde leidet unter der neuen Trockenheit und den erhöhten Temperaturen.
Statt Sommerlinden solle man lieber Silberlinden pflanzen, die vertrügen das veränderte Klima deutlich besser.
Dass der Klimawandel ganz grundsätzlich verlange, bei der Auswahl von Stadtbäumen nicht so weiterzumachen wie bisher, steht für Klaus Körber außer Frage:
„Wir brauchen in den Städten der Zukunft Bäume, die genetisch für Hitze und Trockenheit ausgelegt sind. Und solche Bäume findet man garantiert nicht in Südschweden.“

https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/1865158/baumpflegetage-an-der-hochschule-osnabrueck-stehen-im-zeichen-des-klimawandels

Gnadenhof Brödel Melle
http://gnadenhof-melle.de
https://www.betterplace.org/de/projects/71760-gnadenhof-brodel-melle-artenschutzprojekt-blumiger-landkreis-osnabruck