Klimaerwärmung – Ein Plädoyer für mehr Ge- und Verbote
Geschrieben:

Danke an Bernd Thye und Anita Agarius, dass wir auch diesen Monat in der Quintessenz Melle eine Kolumne veröffentlichen durften:

https://verlag-am-bleistift.de/onewebmedia/QUINTESSENZ/FLIP%20Melle%2004/MQUI_04-2020.html

Diesmal zum Thema „Klimakatastrophe, Vorgaben, Ge- und Verbote“

Ein Plädoyer für mehr Vorgaben, Ver- und Gebote – um die Klimakatastrophe noch abzuwenden

Das Thema des Jahres ist die Klimaerwärmung. Auch in Melle waren dafür kürzlich über 500 Menschen auf der Straße, um für entsprechende Maßnahmen zu demonstrieren. Gut so! Schon in den 70er Jahren warnte der „Club of Rome“ (ein Zusammenschluss internationaler Experten verschiedener Disziplinen) vor den entsprechenden Folgen der globalen Erwärmung. Und jetzt? Jetzt haben wir den (bereits stark angewärmten) Salat als minimale Vorspeise. Die Klimaerwärmung ist da, mit ihren ersten Auswirkungen auch in Niedersachsen, und bietet einen kleinen Vorgeschmack auf das, was in den nächsten 5, 10, 20, 30 Jahren noch kommt.

Gleichwohl wird auch hierzulande nach wie vor viel zu zögerlich agiert. Vielfach hört man: „Es darf aber keine Gängelungen und Verbote geben!“, oder: „Für die Eindämmung der Klimaerwärmung bloß keine Vorschriften!“. Gerne auch: „Wenn wir im Kleinen was machen, dann ist das ja auch schon toll. Es darf aber nicht soweit kommen, dass wir verzichten müssen“.
Auch „in der Politik“ hören und erleben wir es häufig. Bloß keine WählerInnen verschrecken, möglichst verbotsfrei agieren. Thank you for nothing!

„Wieso eigentlich keine neuen Regelungen, Ver- und Gebote?!“, soll hier laut gefragt (und auch gefordert) werden… Im Straßenverkehr, im gesellschaftlichen Miteinander, in so ziemlich allen Lebensbereichen gibt es Gesetze und Normen. Ist das schlecht? Natürlich nicht! Es ist zwingend notwendig, um ein stabiles Gerüst des gemeinsamen Lebens zu schaffen. Da liegt es doch nahe bei der größten Herausforderung der Menschheit ever (eben der Klimaerwärmung) deutlich schärfere Regelungen und Vorgaben zu erlassen!

Denn, hier nur mal einige Folgen, welche wir in den nächsten 20 Jahren alle (hautnah) miterleben dürfen: Die Klimazonen verschieben sich. Ganze Landstriche (z.B. im nördlichen Afrika) werden unbewohnbar. Eine Fülle von Menschen wird fliehen (das ist ihr gutes Recht) und versuchen, einen lebenswerten Ort zu finden. Gleichzeitig werden die „lebenswerten Orte“ immer geringer. Nordafrika wird die neue Wüste Sahara. Spanien wird das neue Marokko. Deutschland das neue Italien. Die Flächen, auf denen Menschen noch leben können, verlieren an Umfang durch den Anstieg des Meeresspiegels und durch massive Trockenheit. „Arides Klima“ lautet das unschöne Zauberwort, welches wie ein Damoklesschwert über uns allen (gemeinsam) schwebt, ähnlich wie „klimatisch bedingte Extremkatastrophen“. Es wird Tote geben, auch in Europa.
In einem Spiegel-Online-Artikel (11.12.2019, „Die Natur schickt keine Unterhändler“) steht fokussiert: „…hat sich unsere Lebenswelt in der Wirklichkeit längst zu verändern begonnen. Den Terminplan kennen wir nicht genau, aber sicher ist: Eine Frist läuft, nach deren Ablauf nur noch ein kleiner Teil der Menschheit wird existieren können – wenn überhaupt. Die Natur schickt auch keine Emissäre, mit denen sich möglicherweise ein wenig Aufschub aushandeln ließe, oder mildere Auswirkungen an dieser oder jener Stelle.“

Zunächst werden wir enger zusammenrücken müssen. Die Landwirtschaft (auch in Deutschland) kann sich auf derbe Ernteeinbußen einstellen. Gleichzeitig ist auf diesem Planeten eine stetig steigende Weltbevölkerung zu versorgen. Der Streit ums Wasser wird auch in Niedersachsen spürbar sein, es wird zu Konflikten kommen, massive Konflikte (das Nds. Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz hat in diesem Jahr bereits mehrfach klar und präzise darauf hingewiesen). Wenn die klimatischen Bedingungen sich verschärfen, so wird das für viele Landwirte das sichere Aus bedeuten. Durch die Hitzeperioden werden ältere Menschen und Kinder stark beeinträchtigt, um es mal ganz vorsichtig zu formulieren. Der steigende Meeresspiegel wird Kosten in Billionenhöhe (weltweit) verursachen. Auch Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern werden die Auswirkungen spüren. Das Artensterben, die Eindämmung der Biodiversität, werden durch die Verschärfung der klimatischen Bedingungen massiv gefördert.
Die Folgen könnten hier ohne Weiteres auf den nächsten 20 Seiten beschrieben werden…

Einige Fakten

Gemäß Umweltbundesamt lagen die Pro-Kopf-Emissionen in Deutschland (CO2-Äquivalenz-Wert) im Jahr 2017 im Durchschnitt bei etwa 11 Tonnen (pro Bürger bzw. Bürgerin). BürgerInnen-Haushalte/Kleinverbraucher machen etwa 17% des Gesamt-CO2-Voluments aus. Bedeutet: Um seinen eigenen CO2-Haushalt zu kompensieren, so müsste statistisch-durchschnittlich jeder Bürger etwa 1100 Bäume pflanzen (ein Baum speichert im Jahr etwa 10 Kg CO2).

Doch was genau sorgt denn eigentlich im Alltag für solche hohe CO2-Äquivalenz-Werte?

Nun: Ein Flug von Düsseldorf nach Mallorca (hin und zurück) pro Person ca. 700 Kilogramm (70 Bäume pflanzen!). Ein Flug von Berlin nach München (hin- und zurück) pro Person ca. 300 Kilogramm (30 Bäume)! Eine Autofahrt (je nach Automodell) liegt auf der genannten Strecke bei ca. 100 kg CO2 (10 Bäume)!
Der positive Vergleich: Eine Bahnfahrt (ICE) Berlin-München (und zurück) liegt gerade einmal bei 34 Kilogramm CO2.

Neben Fernreisen und winterlichem Heizen ist es insbesondere unsere Ernährung, welche einen starken Einfluss auf Treibhausgase hat (etwa 20% der Treibhausgas-Emissionen entstehen durch die Nahrungsmittel-Produktion). Bekannt ist, dass eine (häufig auch außerordentlich grausame) landwirtschaftliche Massentierhaltung neben CO2 auch die deutlich schädlicher wirkenden Treibhausgase Methan und Distickstoffmonoxid (Lachgas) produziert. Die CO2-Äquivalenzwerte sprechen für sich:

1 Kilogramm Butter hat einen CO2-Wert von etwa 25 (durch die benötigte Viehhaltung), 1 Kilogramm Rindfleisch = 14 Kilo CO2, 1 Kilogramm Schweinefleisch = 3,3 Kilo CO2
Dass Fleisch im Laufe der Klimaerwärmung ein „Auslaufmodell“ wird, hat sich bereits hier und dort herumgesprochen

Im Gegensatz dazu die deutlich klimafreundlicheren Alternativen, welche gleichzeitig auch um ein vielfaches gesünder sind und deutlich weniger Leid produzieren:

1 Kilogramm Margarine = 1,35 Kilogramm CO2, 1 Kilogramm Kartoffeln = 0,2 Kilogramm CO2, 1 Kilogramm Tomaten (abhängig von Entfernung und Anbaumethode) = ca. 0,35 kg CO2

Wir alle verzichten ungern. Die Reise nach Kreta oder Mallorca? „Ich doch nicht!“ Das Steak? „Kommt nicht in Frage! Ess ich auch weiterhin!“ Schnell mal mit dem Auto zum Supermarkt? „Das lasse ich mir doch nicht nehmen! Und wenn ich 200 Km/h auf der Autobahn fahren will, dann mache ich das!
Frei Fahrt für (mündige??) Bürger!“

Ja, da sitzen wir sogenannten „mündigen BürgerInnen“ nun alle in einem Boot, in einigen Jahrzehnten vielleicht tatsächlich auch ganz praktisch,
und ärgern uns massiv über die Drängelei. Ohne Regelungen, Vorschriften, massive Verordnungen (z.B. ein aus ökologischen Gesichtspunkten dringend
notwendiges Tempolimit oder eine massive Besteuerung des Benzinpreises) haben wir keine Chance.
Wenn ein ernsthafter Versuch gestartet werden soll, die Klimakatastrophe (mit gigantischen Fluchtbewegungen, Hitzesommern, Ernteausfällen, Tausenden von Toten, Starkregen, Meeresspiegelanstieg, Artensterben, heftige gesundheitliche Auswirkungen und sozialen Unruhen) noch zu verhindern, dann reicht eine freiwillige Selbstbeschränkung noch nicht einmal ansatzweise. Dann müssen deutlich schärfere Vorgaben her, aber pronto! Ein ähnliches Beispiel ist der oft genannte „Freiwillige Naturschutz“, der (das Artensterben zeigt es) leider völlig gescheitert ist. Es wäre schön, an dieser Stelle etwas anderes zu schreiben. Aber: Die Freiwilligkeit hat versagt, bei uns allen! Und nun ist es so weit – der Spiegel wird uns in aller Deutlichkeit vorgehalten. Wollen wir den Temperaturanstieg um mehr als zwei Grad in diesem Jahrhundert verhindern, so ist es nötig, im Jahr 2050 bei lediglich 1 Tonne CO2-Äquivalent pro Kopf zu landen. Ergo: In 30 Jahren jährlich auf etwa 9 % der Emissionen zu kommen, welche wir Bürgerinnen und Bürger AKTUELL [!!!] (im Durchschnitt) zu verantworten haben.

1 Tonne CO2 pro Person pro Jahr = Einmal mit dem Flieger nach Malle (hin und zurück) und danach das ganze Jahr Margarine und Kartoffeln essen. Et voila. Es ist angerichtet.

Das Positive: Unmöglich ist eine Reduzierung von Emissionen um etwa 90% in den nächsten 30 Jahren auf keinen Fall! Aber mit Sicherheit nicht ohne deutlich schärfere Gesetze und Verbote sowie massive Besteuerungen bei Klimakillern. Erst kommt das fressen, dann die Moral, das wissen wir alle nur zu gut. Aus „freien Stücken“ passiert da (leider) viel zu wenig.

Was können wir tun?

Und davon unabhängig: Was können wir jetzt schon tun? Urlaub an der Ostsee (ist superschön dort) anstatt auf Mallorca. Weniger Fleisch und insgesamt weniger tierische Produkte essen (oder ganz darauf verzichten). Mehr Radfahren anstatt schon für kleine Dinge das Auto zu nutzen. Bäume pflanzen, viele Bäume!! Sehr sehr viele Bäume! Beim Kochen den Deckel auf den Topf setzen. Elektrogeräte nur mit Energieeffiziensklasse A+++ kaufen. Bei Strom- und Gasanbietern zu regenerativen Modellen greifen oder eine (kleine) Solaranlage aufs Dach setzen. Recyclingpapier nutzen (Bei 1000 DIN A4-Blättern Recycling (statt Frischfaserpapier) wird so viel CO2 gespart, wie ein Auto auf fünf Kilometern ausstößt). Nicht immer das komplette Haus sondern nur im Wechsel einige Räume heizen. Hausisolierungen umsetzen, LED-Lampen nutzen, Verpackungsmüll vermeiden…Uns hinterfragen, ob unser aktueller Lebensstil denn wirklich so „hoch“ sein muss? Eine Randbemerkung: Setzt der Autor dieser kleinen Kolumne das alles schon selber um? Nein, nicht in Gänze, auf keinen Fall! Da ist auch noch „viel Luft nach oben“. Bei uns allen ist bei diesem Thema noch „ganz viel Luft nach oben“ (und damit ist nicht die dünne Luft im Flugzeug nach Mallorca gemeint) – doch diesem Thema kann keiner entfliehen. Ob wir es wollen oder nicht – dieses Mal sitzen wir tatsächlich alle in einem Boot (und die Meeresoberfläche wird größer und größer, jeden Tag. Wenn wir wollen können wir dabei zusehen).

Angesichts dessen, wie schlampig wir alle mit eben der Verantwortung gegenüber den Folgen der Klimaerwärmung und den Auswirkungen auf uns selber (und unsere Nachkommen) umgehen, ist der Widerstand gegen jede Form von Regulierung unverständlich. Wer vor dem Hintergrund der Klimaauswirkungen (es wird in den zuerst betroffenen Ländern zu gesellschaftlichen Komplettzusammenbrüchen kommen – und der Countdown läuft schon lange) von einer Einschränkung der Freiheit und einer Vorliebe für eine Verbotskultur (oder sogar einer „Ökodiktatur“) schwadroniert, der/die ist schlicht naiv und sieht die Gesamtzusammenhänge nicht.

Und die Wirtschaft?

Und die Wirtschaft im Kontext von ökologischen Verordnungen? Ohne jede Frage eine Giganten-Herausforderung. Denn bricht die Wirtschaft zusammen, dann verliert Umweltschutz an Bedeutung (erst das Fressen, dann irgendwann ganz weit hinten, ein nachhaltiges Bewusstsein). Das stimmt leider auch. Ohne Wohlstand wird kaum jemand bereit sein, dem Umwelt- und Artenschutz genügend Bedeutung zuzumessen. Nur leider: Wir haben jahrzehntelang weit weit weit über unseren Verhältnissen gelebt. Es wird schlichtweg nicht mehr möglich sein, den aktuellen Wohlstand zu halten. Das geben die Ressourcen des Planeten (insbesondere bei den Auswirkungen der Klimaerwärmung) nicht mehr her. Über die Folgen sind wir alle – zumindest jene die zwischen den Zeilen lesen und über den Tellerrand hinausschauen können – uns längst im Klaren. Handeln! Jetzt! Sofort! Wir alle!