Agrarwirtschaft im Einklang mit der Natur ist möglich
Geschrieben:

Mittlerweile erreichen uns eine Vielzahl von Anfragen, ob wir nicht mal dieses oder jenes teilen und verbreiten können. Leider können wir nicht alles veröffentlichen, weil sonst das eigene „Profil“ zu sehr durchgewirbelt wird.
Hier aber ein sehr interessanter Text, u.a. zur industriellen und zur solidarischen Landwirtschaft (gibt es mittlerweile überall in Deutschland) und zu Permakulturen.

Verein ERZIEHUNG UND BILDUNG FÜR EIN LEBEN IM EINKLANG
MIT DEM NATURGESETZ gemeinnütziger e.V.
Sprecher: Dr. Helmut Brünger
Sekretariat: Föckinghauser Weg 9, 49324 Melle, Tel: 05422-9289779
helmutbruenger@web.de

Melle, 20. 9. 2019
Liebe Freunde,
in diesem Rundbrief geht es darum, dass Projekte Solidarischer Landwirtschaft unter Anderem auch den Charakter von Bildungsprojekten haben. Thematisch spannen wir jetzt einen weiten Bogen, der folgende drei Hintergrunds-Aspekte einbezieht:

1) Die Gefahren einer „industriell betriebenen Landwirtschaft“ – Zerstörung der Böden – Schädigung der Umwelt – negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung;

2) beispielhaft betrachten wir in diesem Zusammenhang das Thema Gentechnik; wir zeigen auf, mit welchen Strategien dieser Gefahr begegnet werden kann;

3) „Gentechnikfreie Zonen“ werden in diesem Zusammenhang als positive Gegenentwürfe thematisiert, und Projekte Solidarischer Landwirtschaft werden in den Zusammenhang mit der Schaffung Gentechnikfreier Zonen gestellt. Das
Projekt Solidarische Landwirtschaft auf unserem Biolandhof in Melle-Oldendorf, das sich inzwischen gut weiterentwickelt hat, wird beschrieben. Es wird aufgezeigt, dass Projekte dieser Art letztlich Bildungsprojekte sind.

4) Ausblick auf das übergeordnete Thema Permakultur: Im Einklang mit der Natur der Erde und im Einklang mit der Natur des Menschen

Zu 1) Schon vor mehr als zwei Jahrzehnten gab es in ökologisch und ganzheitsmedizinisch-spirituell orientierten Kreisen Warnungen vor den Gefahren der Gentechnik in der Nahrungsmittelproduktion. Es wurde gefordert, die Bevölkerung
müsse sich dagegen zur Wehr setzten. Da genmanipulierte Nahrungsmittel auf den Organismus nicht nährend-harmonisierend wirken, sondern verwirrend-entstellend,
gab es – nicht nur in diesen Kreisen – verschiedene Projekte, die diese Gegenwehr in Angriff nahmen; unser Verein verfasste mehrere Rundfunkbeiträge und trat in einem Symposium auf. Konsequente Schritte der Gegenwehr gab es allmählich immer mehr, und zwar in weiten Teilen der Gesellschaft und in mehreren europäischen Ländern.
Wie kam es eigentlich zustande, dass etwas so Unnatürliches, wie gentechnisch ausgerichtete Manipulationen des Erbguts von Organismen jemals als „wichtiger Fortschritt“ angesehen wurden? Der Hintergrund dafür war ursprünglich die
geradezu zwanghafte Tendenz der Marktwirtschaft, Wachstum um jeden Preis anzustreben. Rücksichtnahme auf die Menschen und auf die Natur war in diesem Zusammenhang zweitrangig, und so entstanden die landwirtschaftlichen
Großbetriebe mit ihren typischen Kennzeichen, wie hoher Spezialisierungsgrad, Verwendung hochtechnisierter Verfahren mit großen Maschinen, hoher Kapital- und
Energieeinsatz sowie der Übergang zu standardisierter Massenproduktion, wozu auch große Hallen für die Massentierhaltung gehören. Diese Art der Entwicklung ist
inzwischen in den USA für die Mehrzahl der Betriebe vollzogen und setzt auch Maßstäbe für den europäischen Raum. Die zunächst positive Folgeerscheinung war klar: Hohe Produktivität.

Aus der Sicht der marktwirtschaftlichen Wachstums-Ideologie und der hieraus sich ergebenden Forderung nach Ertragsteigerung-um-jeden-Preis ist die Entwicklung
gentechnischer Verfahrensweisen ein geradezu logisch-konsequenter nächster Schritt in derselben Richtung gewesen.

Bald jedoch zeigten sich die Schattenseiten: Eine industrielle landwirtschaftliche Produktionsweise ist mit einer Beeinflussung und Veränderung des Ökosystems
verbunden. Es kommt zu einer Abnahme der Artenvielfalt und einer künstlichen, einseitigen Manipulierung des ökologischen Gleichgewichtes zugunsten der
Nutzpflanzen und Nutztiere. Ursache sind die Anlage von Monokulturen und der massive Einsatz von Pestiziden. Die Landschaft muss überdies „maschinengerecht“
geformt werden, so dass natürliche Strukturen (Weiher, Randstreifen, Streuobstwiesen) in weiten Teilen entfernt werden. Solche verödeten Agrarlandschaften werden dann auch manchmal als „Agrarsteppe“ bezeichnet.
Monokulturen sind zudem hochgradig anfällig für Schädlinge aller Art und auch für schwer beherrschbaren Unkraut-Wuchs. Dem versuchte man entgegenzuwirken mit Einsatz von Glyphosat-haltigen Unkrautvernichtungsmitteln und mit massivem Pestizideinsatz. Die schädigenden Folgen für die Ökologie blieben nicht aus.Betrachtet man darüberhinaus auch die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung
ergibt sich ein düsteres Bild: Pestizide machen krank.

Weltweit werden Pestizidwirkstoffe in rund 5.000 unterschiedlichen Spritzmitteln verwendet. Diese
große Vielfalt von Schadstoffen kann, je nach Wirkungsweise, jede unserer elementaren Körperfunktionen gefährden. Unser Organismus wird ja mit ganzen Pestizid-Cocktails konfrontiert. Wechselwirkungen der Gifte untereinander und deren
Abbauprodukte sind bislang kaum untersucht und stellen ein weiteres Risiko dar.
Pestizide sind eine der häufigsten Ursachen für akute und schleichende Vergiftungen.Gefördert werden dadurch Allergien und Beeinträchtigungen des Immunsystems.
Zudem fördern Pestizide bestimmte Krebsarten. Die allgemeine Zunahme von Krebserkrankungen in zivilisierten Gesellschaften ist sicherlich nicht unabhängig von den Praktiken der Industriellen Landwirtschaft zu sehen.

Das alles ist schlimm genug, aber mit der Gentechnik wird dann alles noch weit schlimmer – die erwähnten Fehlentwicklungen Industrieller Landwirtschaft können sich auf dieser Basis noch potenzieren. Das zeigte sich in diversen „Pannen“, die in
Verbindung mit Gentechnik auftraten.(So führte etwa der Verzehr von Gen-Kartoffeln bei Versuchsmäusen zu Magenblutungen; diskutiert wird auch die Entstehung neuer
Allergien und neuer Antibiotika-Resistenzen beim Menschen.) Die Problematik zeigte sich typischerweise und bezeichnenderweise auch in Vertuschungs-Strategien,
mit denen die Genfood-Lobby die möglichen Gefahren herunterzuspielen suchte.

Damit sind wir beim nächsten Thema:
Zu 2) Gentechnik am Beispiel der Kombination von Glyphosat und der Züchtung von glyphosatresistenten Gentech-Pflanzen
Da das Gentechnik-Thema sehr umfangreich und hochkomplex ist, müssen wir uns hier auf dieses eine Beispiel-Thema beschränken. Glyphosat wird in der Industriellen
Landwirtschaft als Unkraut-Killer eingesetzt. Bekannt ist das relativ billig herstellbare Produkt unter dem Markennamen „Roundup“. Das Problem dabei ist: Es wirkt nicht-selektiv gegen Pflanzen, dies bedeutet, dass alle damit behandelten
Pflanzen absterben. Ausnahmen bilden Nutzpflanzen, die gentechnisch so verändert
worden sind, dass sie eine Resistenz gegenüber Glyphosat besitzen. Seitdem also in einigen Ländern gentechnisch veränderte Pflanzen mit Glyphosatresistenz zugelassen
sind, ist es möglich geworden, Glyphosat ganzjährig, also auch nach der Aussaat und während des gesamten späteren Wachstums der Pflanzen einzusetzen.
Diese Kombination von genmanipulierten Pflanzen und Glyphosat-Einsatz erschien anfangs wie eine geradezu geniale Geschäftsidee: Sie schien allen Beteiligten
ausschließlich Vorteile zu bieten. Die Landwirte hätten ohne viel Arbeits- und Kostenaufwand ganzjährig unkrautfreie Anbauflächen, sie könnten also ihre Produkte
billiger als die Konkurrenz auf den Markt bringen, wovon dann auch wiederum die Verbraucher profitieren würden. Den größten Trumpf hätte die Produktionsfirma – in
diesem Fall der Marktführer MONSANTO – in der Hand.

Die Firma könnte in einem Zuge an die Landwirte gleich beides verkaufen: Das genmanipulierte Saatgut und das Glyphosat. Hier ginge das Eine nicht ohne das Andere, und das wird idealerweise dann auch gleich patentrechtlich festgelegt. Im Zuge der transgenen Industriellen Landwirtschaft müssen Bauern jedes Jahr patentiertes Saatgut kaufen, was
vertraglich mit dem Produzenten festgelegt ist. In den USA hat MONSANTO viele Landwirte aufgrund einer Verletzung dieser Verträge verklagt. Das Problem für Landwirte besteht offenbar nicht nur darin, dass Saatgut nicht aufbewahrt und im
nächsten Jahr wiedergepflanzt werden kann, sondern auch darin, dass die Produktionsfirma eine Monopolstellung aufgebaut hat. Die Landwirte sind wehrlos
gegenüber den steigenden Kosten für transgenes Saatgut, und sie kommen aus dieser monopolistischen Vertragsfalle nicht so leicht heraus. Viele kleinere Betriebe wurden dadurch in den Konkurs getrieben.

Man sieht: Die Methoden, mit denen diese Art von Monopolkapitalismus arbeitet, sind nicht gerade zimperlich. Prekär wurde die Situation für MONSANTO, als von wissenschaftlicher Seite auf mögliche Krebsrisiken durch Glyphosat hingewiesen wurde. MONSANTO reagierte mit Vertuschungs-Strategien und lobbyistischen Methoden. Eine peinliche Enthüllung sorgte für Aufsehen: MONSANTO führte geheime „schwarze Listen“ mit Freunden und Feinden. Die SPD-Politikerin Barbara Hendricks beispielsweise wurde als
„Glyphosat-Kritikerin“ geführt und sollte zum Umdenken bewegt werden; dies ist kein Einzelfall. Auch ein Mitglied unseres Vereins erhielt einmal einen Telefonanruf von einer
zweifelhaften Pro-Gentechnik-Lobbyorganisation, die eine solche „Umerziehung“ anstrebte. MONSANTO machte sich selber einen schlechten Ruf mit seiner agressiven Lobby-Politik.
Nach Enthüllungen von Wikileaks gab es von politischer Seite einen Vorschlag an die USRegierung,
eine Strafliste für die EU-Staaten aufzustellen, die den Anbau von Gentech-Pflanzen amerikanischer Unternehmen verbieten wollen. Möglich werden solche Schachzüge dadurch, dass MONSANTO z.B. PR-Kampagnen mit kooperationswilligen
US-Wissenschaftlern einfädelt, die auf Verharmlosungs-Strategien hinsichtlich möglicher Gefahren hinauslaufen. Ein Teil der Wissenschaftler hat finanzielle Zuwendungen erhalten,
anderen wurden Reisen nach Washington bezahlt, um dort die Interessen der Gentech-Industrie zu vertreten. Weiterhin hat die Biotech-Industrie Dutzende von Artikeln unter dem
Namen prominenter Akademiker veröffentlicht, die in Wirklichkeit von Beratern der Industrie verfasst worden sind. Es gibt offenbar korrupte Akademiker, die bereit sind, solche
vor-formulierten Artikel zu unterschreiben. Das alles sind keine Kavaliersdelikte: Hier geht es um großangelegte Produktionsabläufe im Lebensmittelbereich und die Vertuschung von Gefahren; es stehen immerhin Menschenleben auf dem Spiel.

Zwischen dem 14. und dem 16. Oktober 2016 fand in Den Haag das Monsanto Tribunal statt. Diese internationale Initiative verfolgte das Ziel, MONSANTO für
Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und für Ökozid zu verklagen. Es ging um internationale Menschenrechte, wie Recht auf eine gesunde Umwelt, Ernährung, körperliche Unversehrtheit, Wissenschaftsfreiheit, usw. Angesehene Richter
erstellten Zeugenberichte von Opfern und verfassten Gutachten für weitere Vorgehensweisen des Internationalen Gerichtshofes. Am 18. April 2017 stellte die Gruppe ein umfangreichen Abschlussbericht vor, in dem die Geschäftspolitik des Konzerns heftig kritisiert wurde: dies betraf auch die enthüllten Versuche einer unredlich-lobbyistischen Einflussnahme auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse. Zudem wurde über
Umweltverbrechen und Komplizenschaft in Kriegsverbrechen verhandelt, im Zusammenhang mit dem von Monsanto entwickelten und von der US-Armee im Vietnamkrieg verwendeten Entlaubungsmittel Agent Orange.

Das alles war sicherlich geeignet, den Ruf dieser Firma, die inzwischen vom Großkonzern BAYER übernommen wurde, sehr gründlich zu schädigen. Hinzu kamen weitere
Imageschäden durch die Glyphosat-Klagewelle in den USA. Rund 13400 Klagen wegen der Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter sind bisher eingegangen – Tendenz
steigend. Das hatte bekanntlich für den BAYER-Konzern, der die Rechtsrisiken des MONSANTO-Deals offenbar völlig unterschätzt hatte, sehr negative Folgen. Die Bombe platzte bei der Bayer-Hauptversammlung: Verärgerte Aktionäre haben die Bayer-Führung auf der Hauptversammlung wegen der Monsanto-Übernahme gründlich abgestraft und in Grund und Boden kritisiert. Man fürchtet nun um die Zukunft des Traditionskonzerns, der jetzt angeblich einem „Scherbenhaufen“ gleiche, wie ein Großaktionär sagte. Gleichzeitig
protestierten vor der Kongresshalle ca. 700 Demonstranten. Mark Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sagte zu dieser Situation: „Nie
zuvor hat ein Dax-Konzern Reputation und Wert so schnell eingebüßt – das ist eine Schande.“

Die Klagezahl steigt vor allem seit August beständig, nachdem ein Geschworenen-Gericht einem Krebspatienten hohen Schadenersatz zugesprochen hatte. Mit der MONSANTOÜbernahme hat sich BAYER offenbar ein Kuckucks-Ei ins Nest geholt.
Für die Gegner der Gentechnik, zu denen auch wir uns rechnen, ist diese Entwicklung im Grunde positiv zu sehen. Die Gentechnik-Pharma-Giganten haben eine Schlappe
erlebt, da sie den von der Bevölkerung ausgehenden Widerstand zu spüren bekamen.
Das ist gut so.
Interessanter als diese konflikthaften Auseinandersetzungen ist für uns allerdings die Suche nach überzeugenden positiven Gegenentwürfen im Bereich Landwirtschaft.
Dies ist ein hochinteressanter kollektiver Lernprozess und hat eine hohe pädagogische Relevanz. Projekte, in denen gemeinsam solche Gegenentwürfe erprobt werden, sind letztlich auch Bildungsprojekte. Das wird in den folgenden Abschnitten deutlich und damit sind wir beim dritten Thema.

Zu 3) Gentechnikfreie Zonen / Solidarische Landwirtschaft
Inzwischen gibt es einen Bewusstseinswandel: Man spricht von der „Agrarwende“.
Eine aktuelle Studie des Umweltbundesamts zeigt: Die Mehrheit der Deutschen sieht die derzeitige Landwirtschaftspolitik in der Krise und geht davon aus, die gegenwärtige Fehlentwicklung gehe in eine gefährliche Sackgasse. Man fordert einen agrarpolitischen Kurswechsel: weg von der Ausbeutung von Tier, Natur und Umwelt und hin zu einer umweltverträglichen und sozusagen „Enkel-tauglichen“ Landwirtschaft, die auch späteren Generationen noch eine Perspektive bietet.
Die 170 in Deutschland existierenden Höfe Solidarischer Landwirtschaft bilden untereinander so etwas, wie eine große Familie und haben in sich den Charakter von
„Gentechnikfreien Zonen“. Sie tragen ihren Teil dazu bei, dass sich das Bewusstsein der Bevölkerung im Bezug auf Risiken der Gentechnik schärft.
Das Gleiche gilt für die Siedlungsprojekte des Global Ecovillage Network, das daran arbeitet, die Entstehung von experimentellen Ökodorf-Siedlungen zu unterstützen,
also Siedlungen im menschengemäßen Maßstab, die durch Gemeinschaftsprozesse bewusst gestaltet werden, um langfristige Nachhaltigkeit zu erreichen. Dafür müssen
die wesentlichen Aspekte der Nachhaltigkeit – das heißt Ökonomie, Ökologie, Soziales und Kultur – berücksichtigt werden, damit sich eine ganzheitliche
Gemeinschaft entwickeln kann. Die Kraft menschlicher Gemeinschaften gemeinsam
ihren Weg in die Zukunft zu gestalten ist eine wichtige Triebkraft für positiven Wandel. Das Global Ecovillage Network fördert die Bildung von solidarischen Gemeinschaften als Kernelemente einer widerstandsfähigeren Gesellschaft. Teil
dieser Vision ist die Entstehung eines vielfältigen und gemeinsamen Pools an Wissen für einen nachhaltigen Lebensstil.

Dank des Widerstands der Bevölkerung finden zurzeit in Deutschland weder Anbau noch Freisetzungen von gentechnisch veränderten Pflanzen statt. Dass dies auch so bleibt, ist aber nicht garantiert. Der politisch sehr mächtige BAYER-Konzern wird
zweifellos versuchen, politische Entscheidungen und Gesetze in seinem Sinne zu beeinflussen.
Umso wichtiger ist es, dass immer mehr Landwirte und Kommunen Selbstverpflichtungserklärungen abgeben, keine Gentech-Pflanzen auf ihrem Land anzubauen. Durch die Gründung Gentechnikfreier Regionen schützen Landwirte ihre
Region nicht nur vor Kontaminationen durch Gentechnik – sie senden auch ein starkes Signal an Politik und Konzerne.
Denn: Gentechnikfreie Regionen fördern die Partnerschaft zwischen Bauern und Verbrauchern und schaffen durch diese Einigkeit eine gewisse politische Stärke.
Verbraucher wollen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel. Landwirte wollen marktorientiert wirtschaften und sich das Vertrauen der Verbraucher auch in Zukunft
sichern. Gelingen wird ihnen dies auf Dauer jedoch nur dann, wenn die Gesamtwirtschaft in einer insgesamt gentechnikfreien Region abläuft, also keine Kontamination der Ernten (etwa durch Pollenflug) möglich ist.

Abgesehen von den 170 gentechnikfreien Regionen in Deutschland gibt es im Ausland Entwicklungen, die schon wesentlich weiter sind. Inzwischen haben vereinzelt schon ganze Nationen sichergestellt, dass sie gentechnikfrei gehalten
werden. Das trifft zu für ganz Österreich und in noch viel bedeutenderem Ausmaß für Russland. Putin geht davon aus, dass Russland künftig der weltweit bedeutendste
Exporteur gentechnikfreier Bio-Lebensmittel sein könnte.
Auf der Suche nach Gegenentwürfen zur Industriellen Landwirtschaft spielen inzwischen die Projekte der „Solidarischen Landwirtschaft“ (SOLAWI) eine wachsende praktische und auch pädagogische Rolle, besonders dann, wenn sie mit dem Ökodorf-Konzept verknüpft sind. Die SOLAWI, die auf unserem Bauernhof inzwischen entstanden ist, entwickelt sich gut. Es gibt jetzt, schon in der ersten Anfangsphase, über 20 Mitglieder, die monatlich einen Betrag von 80.- EUR
bezahlen. Das ist nicht als kommerzieller Kaufpreis für Obst und Gemüse zu verstehen, sondern als Solidarbeitrag für den Hof. Wir wollen damit erreichen, dass der Hof floriert. Das tut er nun inzwischen. Die Erntefülle, die hier einmal wöchentlich unter die Mitglieder aufgeteilt wird, ist recht üppig. Man teilt sich hier
die Erträge, die Verantwortung und das wetterbedingte Ernterisiko. Eine bezahlte Vollzeit-Gemüsebau-Expertin sorgt für Anbau und Ernte, und sie koordiniert die
freiwilligen Helfer. Es wurde auch nebenher das Terra-Preta-Projekt begonnen, über das wir im letzten Rundbrief berichteten: Die Holzkohle-Produktion läuft bereits in
allerersten Anfängen – und so entsteht die berühmte „Schwarze Erde der Indianer“, die seit Jahrhunderten im Amazonasgebiet hervorragende Bodenqualitäten liefert. Wir
gehen weiter unten noch darauf ein, wie diese Terra-Preta-Produktion in modernen technischen Anlagen mit der Erzeugung von Heizenergie für die Wohnungen einer Land-WG gekoppelt werden kann.

Es ist natürlich klar, dass alle Projekte Solidarischer Landwirtschaft ausschließlich auf der Basis der Erzeugung von Bio-Landwirtschaftsprodukten arbeiten und jegliche Gentechnik,
die es praktisch ohnehin nur im Rahmen großangelegter Industrieller Landwirtschaft gibt, prinzipiell ablehnen. Die rund 190 bisher in Deutschland aktiven oder in Gründung
begriffenen SOLAWIs sind also allesamt in sich betrachtet kleinräumige gentechnikfreie Zonen. Nun gilt es, daran zu arbeiten, dass diese Zonen großräumiger werden. Das geschieht über die Vernetzung solcher SOLAWIs untereinander.
In vielen Gegenden entstehen zurzeit Solawi-Regionalgruppen, in denen sich Solawis und Initiativen in räumlicher Nähe vernetzen. So kann in der jeweiligen Region ein intensiver
Austausch stattfinden und es können gemeinsame Projekte entstehen. Hier besteht die Möglichkeit für die regionalen Besonderheiten gemeinsam (solidarische) Lösungen zu
finden und somit Solidarische Landwirtschaft auf eine neue Stufe zu heben. Die Ideen reichen von Austausch über Anbau, Gemeinschaftsgestaltung, Finanzierung bis hin zu
gemeinsam organisierter Jungpflanzenanzucht und Betriebskooperationen. Idealerweise
können so mehrere SOLAWI-Höfe zu einem Ökodorf schrittweise zusammenwachsen.
Soweit es zusätzlich dazu noch gelingt, diejenigen Bauernhöfe, die nicht zum Solawi-Netzwerk gehören, dazu zu inspirieren, dass sie im Zuge von Selbstverpflichtungserklärungen
zur Entstehung einer großräumigen gentechnikfreien Zone beitragen, wäre dies schon ein sehr großer Schritt nach vorn. Dann gilt es noch, die Kommunen insgesamt mit
ins Boot zu bekommen. Motivationen dazu gibt es hinreichend:

Die Konsumenten wollen keine Gentechnik und begrüßen gentechnikfreie Regionen. Solche Regionen wirken dann
auch als Magnet für Menschen, die sich dort neu ansiedeln wollen und sind auch touristisch attraktiv für die wachsende Zahl von Menschen, die sich zu einer naturbezogenen
Lebensweise hingezogen fühlen.

Es ist klar, dass wir es hier mit einem größeren und längerfristig angelegten Umdenk-Prozess zu tun haben, der wie alle Lernprozesse in Bildungsprogramme umgemünzt werden
kann. Gesellschaftliche Lernprozesse, die sich pädagogisch verarbeiten lassen, gibt es sogar dort, wo Fehlschläge auftreten, beispielsweise im Rahmen der Schlappe, die der BAYERKonzern einstecken musste. Je früher Fehlentwicklungen in eine Sackgasse geraten, desto weniger können sie späterhin noch weiteren Schaden anrichten.
Im Rahmen der konstruktiven Suche nach Alternativen und Gegenentwürfen zur herkömmlichen Landwirtschaft sind die Lernprozesse noch relevanter, da sie in diesem Fall vorwärtsgerichtet sind: Man lernt aus Erfolgen und macht aus Erfolgen Modellfälle, die dann in Form von Bildungsprogrammen weitergegeben werden. Von daher ist es nur logisch, dass auf vielen Solawi-Höfen pädagogische Arbeit in den
Hoforganismus integriert wird. Es laufen Seminare mit vielfältigen Themenschwerpunkten, insbesondere Basiskurse für Solawi-Neueinsteiger, Netzwerker und Gründer neuer Solawi-Projekte.

Zu 4) Ausblick auf das Thema Permakultur: Im Einklang mit der Natur der Erde und im Einklang mit der Natur des Menschen.
Auf unserem Bio-Bauernhof unweit Melle wird sich das ursprüngliche Konzept „Solidarische Landwirtschaft“ voraussichtlich ausweiten. Der übergeordnete Begriff
heißt dann „Permakultur“. Ging es ursprünglich noch lediglich um das Schaffen alternativer autonomer Wirtschaftskreisläufe auf der Basis von Biolandbau, also ein Sich-Befreien von der jetzigen naturwidrigen kommerzialisierten Praxis, geht das
Denkprinzip der Permakultur noch einen wesentlichen Schritt weiter und bezieht auch Bereiche wie Energieversorgung, Landschaftsplanung und die Gestaltung
sozialer Infrastrukturen mit ein. Ursprünglich nur für die Landwirtschaft entwickelt hat sich der inzwischen ausgeweitete Begriff als eine Kurzform von „permanent
agriculture“ international eingebürgert. Grundprinzip ist ein Konzept, das auf die Schaffung von dauerhaft funktionierenden, also nachhaltigen und naturnahen Lebens-
Kreisläufen, Energieprozessen und sozialen Gemeinschaftsformen zielt. Es geht um die Unterhaltung von landwirtschaftlich produktiven Ökosystemen mit allen für
solche natürlichen Systeme typischen Eigenschaften, wie Diversität, Stabilität und Widerstandsfähigkeit. Statt Ausbeutung der Natur steht die Achtung vor den natürlichen Evolutionsabläufen im Vordergrund.

Letztlich geht es um die optimale Kombination von wirtschaftlichem Ertrag und Regenerationsfähigkeit der Natur. Landwirtschaft zielt ja zunächst immer auf
ertragreiche Nahrungsmittelproduktion ab, also auf menschliche
Bedürfnisbefriedigung. Diese muss aber – um sich nicht selbst ad absurdum zu führen – dauerhaft funktionieren, nachhaltig sein. Sie muss auch für spätere Generationen noch funktionieren. Genau das ist aber heute im Rahmen der industriell betriebenen Landwirtschaft in eine gefährliche Schieflage geraten. Permakultur arbeitet dieser Gefahr entgegen, indem sie die Bedürfnisbefriedigung (die Sucht nach
„Ertrag“) in Einklang bringt mit der Bewahrung der natürlichen
Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme (Pflanzen, Tiere, Ökosysteme), weil die Dauerhaftigkeit über Generationen hinweg nur dann gewährleistet ist.

Es ist beinahe überflüssig, zu erwähnen, dass in klassischen Kulturen, etwa im vedischen Indien im Rahmen der ayurvedisch geprägten Landwirtschaft, Permakultur eine natürliche Selbstverständlichkeit war. Auch „Solidarische Landwirtschaft“ war in dezentralen kleinräumigen Wirtschaftskreisläufen klassischer Kulturen das Selbstverständliche und Normale. Diese Normalität ist aber heute weitgehend aus dem Blickfeld geraten, besonders extrem in Landwirtschaftsformen, die auf
Monokultur oder Gentechnik basieren. Hier agiert ein aus den Fugen geratener Turbo-Kapitalismus, der nach Monopolbildung strebt, und in seiner Hybris auf die vitalen Lebens- und Gesundheitsbedürfnisse der Menschen keine Rücksicht nimmt.
Das Selbstbestimmungsrecht der Menschen wird dabei gröblich verletzt.
An dieser Stelle wird deutlich, dass es nicht nur Nahrungs-Bedürfnisse, also um Landwirtschaft, geht. Permakultur bezieht auch die soziale Komponente mit ein.
Eigentlich geht es hierbei um das alte Thema der Beziehung zwischen Freiheit und Verantwortung. Allen Menschen das Recht auf eine frei gestaltbare Nutzung der Lebensgrundlagen zu gewährleisten, erfordert eine Balance zwischen individuellen
und gemeinschaftlichen Bedürfnissen – und zwar generationsübergreifend. Es geht um die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit: Alle Menschen sollen das gleiche
Recht auf Zugang zu den wichtigen Lebensgrundlagen haben.

In den verschiedenen bereits konkret laufenden Permakultur-Projekten (vielfach überregional organisiert im European Permaculture Network) geht man vom
Grundsatz „global denken – lokal handeln“ aus . Auf dieser Grundlage entstehen kleinere, überschaubare dezentrale Wirtschaftsformen im Stil kollektiver Selbstversorger-Wirtschaft. Die Projekte zeigen recht gut, wie sich Gemeinschaften
mit einem geringen Ressourcen-, Platz- und Zeitaufwand und einem Verständnis für natürliche Kreisläufe weitgehend kollektiv selbst versorgen können. Permakultur-Projekte nutzen dabei u. a. die Speicherung von Regenwasser und Sonnenenergie,
verwenden sie effizient, verbessern die Bodenfruchtbarkeit und praktizieren eine naturnahe Abfallvermeidung, bei der der Output des einen Systemelements als Input
für die anderen genutzt wird.
Lehrmeisterin ist bei allen diesen Ansätzen die Natur. Diese erzeugt bekanntlich keinen Müll. Es wird alles wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgespeist. Eine
nachhaltig effiziente Gestaltung im Sinne der Natur nutzt die vorhandenen Ressourcen besser. Diesen Vorteil von nachhaltiger gegenüber kurzfristiger Effizienz
zeigen uns die abfallfreien Nährstoffkreisläufe in der Natur. Das funktioniert deshalb, weil Pflanzen und Tiere Teil eines nachhaltigen Systems sind, das die Überreste des einen als Nahrung für die anderen wiederverwendet, zum Beispiel als Futter oder Dünger. In unverdorbenen Ökosystemen stellt sich in dynamischen Fließgleichgewichten die Balance immer von selbst wieder her. Alles funktioniert in Recycling-Kreisprozessen. Je höher die Vielfalt im System, desto nachhaltig effizienter werden die vorhandenen Ressourcen genutzt. Das negative Gegenstück wäre eine Monokultur: Ein rein auf kurzfristige Effizienz ausgelegtes System würde nur darauf achten, eine einzige Ressource bestmöglich zu nutzen, bis sie schließlich aufgebraucht ist; die anderen Ressourcen bleiben ungenutzt und verkümmern. Darum sind auf bloß kurzfristige Effizienz ausgelegte monokulturelle Systeme langfristig
unproduktiver als nachhaltig effizient genutzte.

Auf unserem Bauernhof-Projekt zwischen Melle und Schledehausen bekommt die Permakultur-Planung noch eine sehr interessante Zusatz-Variante: Großangelegte
Kompost-Erzeugung nach dem „Terra-Preta-Prinzip“ wird gekoppelt mit der Gewinnung von Heizenergie für die verschiedenen Wohnbereiche der Land-WG.
„Terra Preta dos Indios“ kommt als Begriff aus dem brasilianischen Portugiesisch und bedeutet „Die schwarze Erde der Indianer“. Schon seit Jahrtausenden erzeugen
die Indianer Nordbrasiliens ein Dünger-Material von höchster Qualität auf der Basis von organischen Abfällen in Kombination mit Pflanzenkohle.

Pflanzenkohle ist für sich genommen kein Dünger, sondern vor allem ein Trägermittel für Nährstoffe sowie idealer Wohnraum für Mikroorganismen, da Pflanzenkohle extrem porös ist und eine sehr hohe spezifische „innere Oberfläche“ hat. Dadurch kann Pflanzenkohle bis zur fünffachen Menge ihres Eigengewichtes an Wasser mitsamt den den darin gelösten Nährstoffen aufnehmen. Um ihre bodenverbessernden Eigenschaften zur Wirkung zu bringen, muss die Pflanzenkohle
also zunächst physikalisch mit Nährstoffen aufgeladen und außerdem biologisch aktiviert werden. Das geschieht, indem Pflanzenkohle in natürliche Kompostierungsvorgänge eingebracht wird. Ein so gewonnenes Pflanzenkohle-
Kompost-System führt zu einer sehr günstigen mikrobiellen Belebung des Bodens, was Symbiosen von Mikroorganismen und Pflanzenwurzeln zugutekommt. Das sorgt u.A. für eine effizientere Nährstoffdynamik und Verbesserung der Pflanzengesundheit durch induzierte Resistenz. Auf der Basis von Pflanzenkohle können sich sogar verdorbene und teilweise vergiftete Böden regenerieren. Die ursprüngliche Terra
Preta der Indianer besteht aus einer Mischung von Pflanzenkohle, kompostierten Abfällen aus der Nahrungszubereitung und Ernterückständen, tierischen und
menschlichen Ausscheidungen, gelegentlich durchsetzt mit Knochenresten und Fischgräten. Die so bewirtschafteten Böden im Amazonasbecken sind oft Jahrhunderte alt, da die Pflanzenkohle sich nicht oder nur sehr langsam biologisch
abbaut.
Mit modernen Pyrolyse-Verfahren hergestellte Terra Preta, bei der fast alle pflanzlichen Rohstoffe verarbeitet werden können, bietet die zusätzliche interessante Möglichkeit, dass die im Produktionsprozess entstehende Abwärme für Energiegewinnung genutzt werden kann, beispielsweise für Heizzwecke. So ist es längerfristig in unserem Bauernhof-Projekt geplant.

Uns kommt dabei entgegen, dass es mittlerweile auch kleinere Pyrolyse-Anlagen gibt, die z.B. in einem ländlichen Permakultur-Projekt einsetzbar sind. Bei der
Produktion von Pflanzenkohle mittels Pyrolyse entstehen je Anlage bis zu 150 Kilowattstunden (KWh) an Wärme. Dieser Abwärme-Ausstoß reicht jedenfalls aus,
um in einer kleinen Fernheiz-Anlage mehrere Wohnungen in mehreren Gebäuden mit Heizenergie zu versorgen, während gleichzeitig die Pflanzenkohle-Produktion für die
Terra Preta läuft, die in der Landwirtschaft gebraucht wird.
Man darf gespannt sein, wie sich dies alles in der Praxis umsetzen wird.
Herzliche Grüße von Helmut Brünger